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Buchtipps - Philosophie

Raymond Geuss ist ein emeritierter Professor in Cambridge, sein Spezialgebiet die kontinentale Philosophie von Kant über Marx bis zur Frankfurter Schule, und er hat sich ausgiebig mit der Frage beschäftigt, was Philosophie und Politik miteinander zu tun haben. Warum ist uns sein Name nicht längst wohlbekannt? – Weil er selten in den Feuilletons auftaucht? Oder weil er sich jahrzehntelang dem Lesen und der Lehre gewidmet und erst in fortgeschrittenem Alter begonnen hat, regelmäßig zu publizieren? Weil er keine E-Mail-Adresse hat?

Nach Adorno kann man auch mit den Ohren denken. In ihrem biografischen Essay betrachtet ihn Iris Dankemeyer also von der Seite mit Blick auf das Ohr „als Organ einer dialektisch vermittelten Erkenntnis, die unleiblichen Geist und leibhafte Sinnlichkeit nicht als getrennt voneinander denkt, sondern sie im Bewusstsein von Freiheit und Notwendigkeit vereint“. Die „Erotik des Ohrs“, so Dankemeyer weiter, „ist weder eine kontemplative Haltung noch eine direkte Aktion, sondern deren Vermischung: ein Verhalten“.

Viele Intellektuelle haben ziemlich schräge Vorstellungen von dem, was sie vermeintlich am besten tun: denken. Sie sehen sich gegenüber denen, die mit mehr Körpereinsatz arbeiten, auf der Gewinnerseite einer Ungleichung. Ihren gebildeten Geist betrachten sie als etwas, das untrennbar zu ihnen gehört, als ihren ureigenen Besitz. Körperliche Arbeit hingegen wird als ein Vermögen betrachtet, das man entäußert, verbraucht und verkauft.

Es hilft nicht, aus Verzweiflung über virale Verschwörungstheorien, Fake-Wissen und Wirklichkeitsverleugner*innen auf die Wissenschaft zu pochen. Denn die Wissenschaft ist keine „Fahne, unter der man sich versammeln könnte“, kein Goldstandard, keine harte Währung in politischen Auseinandersetzungen, und am allerwenigsten ist, was Wissenschaft ist, selbstevident.

In den 1990er Jahren kursierte es schon als heißer Tipp zum Thema Staatskritik, aber an das Buch war kaum ranzukommen: Staatsfeinde, Pierre Clastres Studien zur politischen Anthropologie, in Frankreich 1974 erstmals erschienen. Im Jahr 2020 ist das Werk von konstanz university press neu aufgelegt worden. Andreas Gehrlach und Morten Paul haben ein sehr gutes, ein- und weiterführendes Nachwort dazu verfasst.

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