Die französischsprachige Autorin und Journalistin Leïla Slimani hat in ihrem Heimatland Marokko mit verschiedensten Frauen Gespräche über Liebe und Sexualität geführt. Entstanden ist daraus unter anderem die von Laetitia Coryn in warmen Farben illustrierte Graphic Novel Hand aufs Herz.
Slimani porträtiert in ihrer soziologischen Reportage Frauen, die sich mit der Langsamkeit des Emanzipationsprozesses nicht abfinden wollen. In dieser Hinsicht ist das Land von Zerrissenheit und Heuchelei geprägt: Immer mehr Frauen arbeiten in öffentlichen Positionen, gleichzeitig werden außerehelicher Sex und Schwangerschaftsabbrüche hart bestraft – auf der Grundlage von Gesetzen, die auf dem Strafrecht der französischen Kolonialzeit basieren. Es gibt keinen Kopftuchzwang in Marokko, aber: „Ohne Kopftuch kannst du sicher sein, dass du belästigst wirst.“ Frauen arbeiten als Ärztinnen und sind doch machtlos, wenn ihr Kollege beschließt, die unverheiratete Schwangere bei ihrer Familie zu denunzieren. Denn Sexualität außerhalb der Ehe kann und darf es nicht geben. So sind nicht nur lesbische Frauen dazu gezwungen, ein Doppelleben zu führen. Über sexualisierte Gewalt zu sprechen, sei es in der Familie oder außerhalb, ist für Mädchen und Frauen unmöglich.
Wichtig ist der „Blick der anderen“. Das hat auch zur Folge, dass die zahlreichen Prostituierten, die mit ihrer Arbeit die Existenz ihrer Familien sichern, von diesen keinerlei Anerkennung erfahren, im Gegenteil. Die patriarchale Kultur, gekleidet in religiöse Moralvorstellungen, sitzt tief. Selbst aufgeschlossene, verständnisvolle Männer, die teilweise langjährige, liebevolle Beziehungen mit unabhängigen Frauen führen, reagieren bei bestimmten Themen geradezu reflexhaft: „Nicht mal im Traum!“ würden sie eine Nicht-Jungfrau heiraten.
Trotz alldem ist Slimani vorsichtig optimistisch. Weil sie auch Männer getroffen hat, die sich an die uralte arabische Tradition erotischer Geschichten erinnern, die sich gegen die aktuelle „rückständige und verlogene Moral“ aussprechen, die ungehindert davon ihre Jugend genießen wollen und sich das genauso für die Frauen wünschen. Vor allem aber ist Slimani optimistisch, weil sie so viele starke, kämpferische Frauen kennengelernt hat: „Sie warten nicht darauf, dass man ihnen die Freiheit einräumt, ihr eigenes Leben zu leben. Sie nehmen sich, was ihnen zusteht. Sie stehen zu ihrem Freiheitsdrang, selbst, wenn sie dafür einen hohen Preis zahlen müssen.“
Slimani trägt das Ihre zu diesem Kampf bei und hat vor Kurzem zusammen mit der Filmemacherin Sonia Terrab im Namen marokkanischer Bürger*innen ein Manifest verfasst, in dem sich diese zu Sex außerhalb der Ehe und zu Abtreibungen bekennen. 8.000 haben inzwischen unterzeichnet.
Ausführlich und mit Kontextualisierungen und Kommentaren Slimanis versehen lassen sich die oben erwähnten Gespräche nachlesen in:
Leïla Slimani: Sex und Lügen. Gespräche mit Frauen aus der islamischen Welt btb Taschenbuch, 208 S., 12,00 €
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