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Ilse Bindseil: Es denkt. Für eine gesellschaftliche Definition des Geistes und einen Verzicht auf eine Definition des Körpers

Viele Intellektuelle haben ziemlich schräge Vorstellungen von dem, was sie vermeintlich am besten tun: denken. Sie sehen sich gegenüber denen, die mit mehr Körpereinsatz arbeiten, auf der Gewinnerseite einer Ungleichung. Ihren gebildeten Geist betrachten sie als etwas, das untrennbar zu ihnen gehört, als ihren ureigenen Besitz. Körperliche Arbeit hingegen wird als ein Vermögen betrachtet, das man entäußert, verbraucht und verkauft. Schreibtisch-Projektionen!, konstatiert Ilse Bindseil und fordert dazu auf, die Verhältnisse von Kopf- und Handarbeit egalitär zu betrachten und unsere ideologisch und philosophisch schwer beladenen Begriffe von Körper, Arbeitskraft und Geist einer grundlegenden Kritik zu unterziehen.

 

Und das tut sie auf den folgenden 100 Seiten dichter, bündiger und folgenschwerer Theorie, die unserem Selbstbewusstsein als Denkende einen Knacks versetzt, den es auch ein Jahrhundert nach Freud noch immer dringend braucht, und die vom Körper, nachdem er radikal von allem befreit ist, was nur Projektion sein kann, wenig übrig lässt.

 

Wir sind daran gewöhnt, unsere Grenze als individuelle Subjekte entlang der Grenze des Körpers zu ziehen und diesen zugleich als Sitz eines vor und über der Gesellschaft stehenden Geistes zu begreifen. Es geht einer schwer in den Kopf, aber da, wo Geist und Körper aufeinandertreffen, in der einzelnen Person, ist weit und breit keine Instanz anzutreffen, die zur Vermittlung fähig wäre. „Als lediglich akzidentiell stellt sich dar, was mit dem ganzen Schwergewicht der Natur daherkommt: dass die Gesellschaft zur Verwirklichung ihrer originalen Geistigkeit auf die Körper angewiesen ist“.

 

Die Psychoanalyse hat vorgedacht, wie die Gesellschaft via Geist – und Seele – in die Individuen hineinwächst. „Der einzelne ist überhaupt nicht mit Geist ausgestattet, vielmehr vom Bewusstsein der sich entfaltenden Gesellschaft infiltriert.“ Die gedanklichen Anstrengungen der Kritik sollten sich darauf richten, die Beschränktheit des gesellschaftlichen Bewusstseins offenzulegen. Dass das möglich ist, ohne metaphysischen Grund und ohne transzendentalen Horizont, dafür ist Bindseils Schrift selbst überzeugender Beweis.

 

Es denkt argumentiert wohlgemerkt für die gesellschaftliche Aufhebung unseres Menschenbildes, diese wird nicht technologisch begründet wie z.B. im Post- und Transhumanismus, der in den letzten Jahren in Mode gekommen ist: „Vergesellschaftete Intelligenz [...] ist so wenig futuristisch wie organisch zusammengesetztes Kapital oder die simpelste Arbeitsteilung, ja ein Reflex der simplen Tatsache, dass der einzelne nicht überleben kann, ohne sich in ein gesellschaftliches Individuum zu verwandeln“.

Für eine gesellschaftliche Definition des Geistes und einen Verzicht auf die Definition des Körpers
Einband: kartoniertes Buch
EAN: 9783924627430
19,00 €inkl. MwSt.
Kategorie: Philosophie

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